Herzklopfen und viel Vorfreude

27. Oktober 2023 Bereich Nord Bereich Ost Bereich Süd Bereich West Freizeitberichte

Wie eine Familie für die nächsten 14 Tage - ich bin überglücklich

Ein Erfahrungsbericht von Betreuerin Hanna über ihre erste Freizeit für Menschen mit Beeinträchtigungen in Meschede

Am Morgen des 8. Juli 2023 steige ich mit ein wenig Herzklopfen in den Zug nach Meschede. Von meinem Heimatort bis zum Matthias-Claudius-Haus fahre ich rund sieben Stunden. Eine lange Zeit, um über vieles nachzudenken. Kann ich allen Aufgaben und vor allem den Teilnehmenden gerecht werden? Finde ich meinen Platz im Betreuungsteam und werden sie mich mögen? Wird mir diese Aufgabe zugetraut?

Unvoreingenommen, aber trotzdem mit gehörigem Respekt vor dieser Aufgabe, warte ich, bis ich in Meschede ankomme. Ich bin sehr nervös und ziehe meinen großen Koffer voller Vorfreude hinter mir her. Herzlich und mit Umarmungen werde ich von Jessi, Lena, Chantal, den drei anderen Betreuerinnen empfangen. Um die letzten Vorbereitungen treffen zu können, erledigen wir noch einige Einkäufe, dann geht es zur Unterkunft.

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht steige ich die Stufen des Gebäudes hinauf, wo ich schon von allen anderen Betreuenden begrüßt werde. Ich fühle mich aufgenommen und ich freue mich sehr auf die gemeinsame Zeit. Es ist wie eine Familie für die nächsten 14 Tage, ich bin überglücklich. Bei einem leckeren Abendessen, kühlen Getränken und interessanten Gesprächen lassen wir den Abend gemütlich ausklingen.

Anreise der Teilnehmenden

Ich wache am Morgen auf und freue mich schon auf den Tag. Wie am Vorabend besprochen, bereiten wir alles für die Ankunft der Teilnehmenden, die alle zwischen 8 und 29 Jahre alt sind, vor. Das ganze Haus wird geschmückt und die Aufregung steigt. Es werden Luftballons aufgeblasen, Luftschlangen verteilt und die letzten Tische gerückt. Am Mittag wird es dann ernst: Die Teilnehmenden der Freizeit treffen mit ihren Begleitpersonen ein, auch meine Teilnehmerin Lynn, um die ich mich gemeinsam mit Betreuerin Anja kümmern werde, ist zeitig da. Anja hat schon Erfahrung bei der Betreuung und ich kann viel von ihr lernen.

Jetzt begreife ich, es geht los

Gespannt begrüßen wir Lynn am Auto und nach einem Gespräch bei Kaffee und Kuchen „fahren“ wir sie in ihrem Rollstuhl auf ihr Zimmer, um ihre Sachen auszupacken. Wir „beschnuppern“ uns alle gegenseitig noch etwas, aber schnell ist das Eis gebrochen. Den restlichen Abend verbringen wir alle gemeinsam als Gruppe im Aufenthaltsbereich und haben schon jetzt viel Spaß miteinander. Der Ankunftstag verging wie im Flug, alle fallen erschöpft in ihre Betten.

Der erste Tag

Am Morgen treffe ich mich mit meiner begleitenden Betreuerin im Zimmer unserer Teilnehmerin. Ich darf sie nun das erste Mal waschen, danach ziehen wir sie an. Das alles klappt schon ganz gut, sodass wir uns danach zügig mit der gesamten Gruppe zum gemeinsamen Frühstück im Speisesaal treffen können.

Ich mag das Gemeinschaftsgefühl, wenn alle zusammen essen. Im Anschluss ging es in den Aufenthaltsbereich. Hier kann man spielen, kuscheln, sich unterhalten, basteln, Tischkicker oder Tischtennis spielen. Jeder findet an diesem Vormittag eine gute Beschäftigung. Ich schaue mir gemeinsam mit Lynn die Sporthalle an. Nachdem die Zeit am Vormittag so schnell verging, treffen sich alle wieder beim Mittagessen mit anschließender, erholsamer Mittagsruhe.

Nachmittags lerne ich die anderen Teilnehmenden in einer kleinen offiziellen Kennenlernrunde näher kennen. Es ist ein Urlaub für sie. Ein Urlaub, den sie sich mehr als verdient haben. Jeder einzelne von ihnen hat ein Leben genauso wie ich. Die meisten gehen einer Beschäftigung nach oder haben spezielle Aufgaben, mit denen sie gefördert werden. Für mich ist diese Betreuung eine Herzensangelegenheit und ich werde diese zwei Wochen lang mein Bestes für unsere „Teilis“ geben, damit sie eine schöne Freizeit haben – ich möchte, dass sie glücklich sind.

Meine anfangs eher zurückhaltende Art ist weg und da ich nicht mehr aufgeregt bin, fühle ich mich sehr wohl. Ich habe verstanden, dass niemand hier unsicher sein muss. Wir sind eine Gemeinschaft und wir sind füreinander da. Wir unterstützen uns gegenseitig und jeder wird mit eingebunden.

Auf zu den Alpakas

Wenn ich morgens in ihr Zimmer komme, lächelt Lynn mich schon an. Man kann gar nicht anders, als gut gelaunt zu sein. Ich spüre diese Menschlichkeit in Situationen wie der Pflege, denn ich unterstütze sie bei Dingen, die Lynn selbst nicht machen kann.  Mit ihrem Lächeln macht sie mich glücklich und ich spüre ihre Freude. Es ist also für uns beide sehr schön, diese Zeit gemeinsam zu verbringen. Sie wird jeden Morgen, Mittag und Abend gepflegt und gewaschen und schon jetzt spüre ich, wie viel Freude mir diese Aufgabe macht. Dabei werde ich ständig von Anja unterstützt. Wir teilen uns die Aufgaben und ich bin froh, dass ich mit ihr so gut zusammenarbeiten kann, es vermittelt mir ein Gefühl von Sicherheit. Dies ist wieder ein Zeichen dafür, sagen zu können, niemand ist hier allein. Wir unterstützen uns und sind füreinander da! Nach dem Frühstück fahren wir zu den Alpakas. Die Tiere sind sehr zutraulich und die meisten Teilnehmenden zeigen großes Interesse. Wir dürfen sie füttern, streicheln und einen kleinen Spaziergang mit ihnen machen.

Der VIP-Tag

Nach der Mittagspause sind auch schon die VIPs da und wir treffen uns zu Gesprächen bei Kaffee und Kuchen vor der Turnhalle. Weitere Gespräche und die Spiele fanden dann in der Turnhalle statt. Die Station "Dosenwerfen" war nicht nur für unsere Teilnehmenden interessant. Einige der VIPs versuchten sich in Teams mit unseren Teilnehmenden zu messen. Schnell stellte sich heraus, wer die meisten Dosen trifft. ;o) Andere spielen Fußball, basteln, tanzen oder beschäftigen sich mit ihren Betreuenden. Mich umgibt ein Gefühl von Gemeinschaft und wenn ich sehe, wie viel Spaß wir alle zusammen haben, bin ich einfach nur glücklich.

Ich würde gern erklären, wie schön dieser Moment war, doch so richtig kann man diese Situationen nur nachvollziehen, wenn man dabei ist.

Am frühen Abend bekomme ich als „Praktikantin” die Möglichkeit, auf andere Teilnehmende einzugehen, mit denen ich bis jetzt wenig Kontakt hatte. Ich führe einige lustige, aber auch rührende Gespräche und es dauert nicht lange, da stecke ich mitten in einer dicken Umarmung von Alina, einer anderen Teilnehmerin.

Es ist egal, wer du bist, solange du herzlich und einfühlsam bist. Hier kannst du Menschen mit nur sehr wenig glücklich machen. Wenn du nur zuhörst und eine Umarmung gibst, ist das schon genug. Hier steht der Mensch im Mittelpunkt!

Die Biker kommen

Als Willkommensgeschenk und kleines Dankeschön basteln wir vormittags Schlüsselanhänger für die Biker.  Nach einer kleinen Pause treffen sich alle vor dem Gebäude und die Motorradfahrer lassen auch nicht lange auf sich warten. Mit großen Augen schauen „unsere Helden“ zu den Maschinen und bestaunen die Fahrer, sogar „Captain America“ ist mit einem Auto dabei. Auch sie haben Geschenke mitgebracht und nach der Übergabe dürfen unsere Teilnehmenden im Auto und auf den Motorrädern gemeinsam mit den Fahrern einige Runden drehen. Es fällt mir schwer, die Freudentränen zu unterdrücken, wenn ich sehe, wie glücklich unsere Teilis sind, Motorrad fahren zu können. An diesem Tag muss ich einige Male schlucken, denn es gibt viele emotionale Momente. Denn wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass dieser Tag auch den Motorradfahrern und Captain America sehr nahegeht. Wir lassen diesen Nachmittag gemeinsam bei Kaffee und Kuchen ausklingen.

Die Schnitzeljagd

Wir Betreuende haben fünf Stationen vorbereitet, unter anderem Torschießen und Eierlauf. An jeder Station konnten sich die Teilnehmenden Goldmünzen verdienen, die sie dann später für einen Schatz in ihrer selbst gebastelten Schatzkiste eintauschen durften. Jeder gibt sein Bestes, um seinen Schatz zu finden. Ich fragte eine Teilnehmerin, wo denn ihr Schatz sei und sie antwortet mir: „Ich bin selber der Schatz.“ - mein Herzensmoment des Tages.

An diesem Tag konnte ich eine andere Betreuerin bei der Pflege ihrer Teilnehmerin unterstützen. Dafür bin ich sehr dankbar, denn es ist ein großer Unterschied für mich zu sehen, wie die Pflege bei einer Person im Rollstuhl oder aber, wie in diesem Fall, bei einer Person, die gut zu Fuß ist, abläuft. Ihre Betreuerin hat mich super unterstützt bzw. angeleitet und ich merke immer mehr, wie viel Spaß mir diese ganzen Tätigkeiten machen.

Die Hunde aus Ulmen kommen

Bevor am letzten Nachmittag der Besuch von der Hundeschule aus Ulmen kommt, werden noch schnell die Spiele und andere Materialien auf einen LKW geladen. Wir waren alle schon sehr aufgeregt und freuten uns, nach dem Mittagessen endlich die Hunde zu sehen, die wir füttern und streicheln durften. Ich genieße noch einen letzten Tag dieses Gemeinschaftsgefühl und die Menschen, die für zwei Wochen meine Familie war. Ich möchte einfach nicht, dass diese Freizeit so schnell zu Ende geht. Unglaublich, dass zwei Wochen so zügig vergangen sind.

Die Abreise oder Routine mit Kloß im Hals

Ich bin heute traurig. Ich stehe auf und pflege letztmalig meine Teilnehmerin, um sie anschließend zum Frühstück zu begleiten. Ich versuche noch nicht an Abschied zu denken und genieße einfach das letzte gemeinsame Essen in dieser tollen Gruppe. Später bringen wir unsere Koffer nach unten und warten auf die Ankunft der Eltern der Teilnehmenden. Es fühlt sich für mich zwar sehr nach Abschied an, und es fällt mir schwer, heute nach Hause zu fahren, aber was mir hilft, ist zu wissen, dass ich bzw. wir im nächsten Jahr wiederkommen. Denn nie zuvor durfte ich so ein schönes und einzigartiges Praktikum machen.

Ich danke den Teilis und jedem einzelnen des Betreuungsteams für das Vertrauen und die Erfahrungen, die ich machen durfte. Ich habe viel gelernt und mich weiterentwickelt, dass ich meinen Berufswunsch und damit meinen gesamten Lebensplan umstrukturiert und korrigiert habe. Das Betreuungsteam hat mir Mut gemacht, meinen Weg zu finden und an mich selbst zu glauben. Ich gehe den Weg, der für mich der Beste ist. Ich danke euch für diese wunderschöne Zeit!

Im nächsten Jahr werde ich alleine für einen Teilnehmenden verantwortlich sein, denn in diesem Jahr habe ich die ideale Grundlage dafür erlernen dürfen. Mit all diesen guten Gedanken fällt der Abschied etwas leichter. Lynn ist schon mit ihrer Mutter auf dem Weg nach Hause und so ist die Freizeit auch schon fast zu Ende. Alle Teilnehmenden wurden abgeholt und wir Betreuende nehmen uns noch etwas Zeit, unterhalten uns und treffen die letzten Nachbereitungen. Später machen sich alle auf den Heimweg, – ich hoffe, alle kommen gut an.

Ich habe euch ins Herz geschlossen!

Bis zum nächsten Jahr, ihr Helden!