Wo Soldatinnen und Soldaten auch mal detektivisch oder seelsorgerisch unterwegs sein müssen
Viel Lob für die unbürokratische zivil-militärische Zusammenarbeit in der Pandemie
von Helmut Michelis
Von der Kaserne ins Gesundheitsamt oder ins Altenheim: Die Corona-Pandemie hat für die Bundeswehr ganz neue Aufgabenfelder erschlossen. Bis zu 13.000 Soldatinnen und Soldaten unterstützen zeitgleich Landkreise und kreisfreie Städte zum Beispiel bei der Kontaktnachverfolgung, bei Schnelltestungen oder in Impfzentren. Ein Besuch vor Ort.
Die Pausenklingel ertönt längst nicht mehr in der alten Förderschule im Mönchengladbacher Ortsteil Rheydt. Für große Pausen hätte dort auch niemand Zeit: In dem Gebäude befindet sich nun das Corona-Zentrum der rheinischen Großstadt, entsprechend betriebsam geht es zu. In einem ehemaligen Klassenraum im ersten Stock ist das örtliche Kreisverbindungskommando (KVK) der Bundeswehr zu finden, eines von mehr als 350, die auf dem Höhepunkt der Pandemie bundesweit im Einsatz sind.
„Wenn man hofft, es wird wohl irgendwann einmal ruhiger, dann kommen neue Ereignisse zumeist aus Richtungen, aus denen man sie nicht erwartet“, sagt Oberstleutnant Roland Beeten. Der Reservist ist im Zivilleben Inhaber eines gehobenen Textilhauses in der Rheydter City. Sein KVK wurde bereits im Oktober 2020 aktiviert. Die insgesamt sechs Reservedienst Leistenden, die sich abwechseln, sind rund um die Uhr ansprechbar, auch an Wochenenden. „Wir sind Mädchen für alles und manchmal sogar Kummerkasten“, meint Beeten. „Das passt auch: Wir bündeln unterschiedliche Kompetenzen und sind in unserer Stadt gut vernetzt. So können wir Vieles schnell und unbürokratisch regeln. Ohne diese persönlichen Verbindungen würde es nicht gehen.“
Ein Beispiel ist der alarmierende Hilferuf, der über einen ehemaligen ranghohen General und seinen Rotary-Club zustande kam: Eines der vier großen Krankenhäuser war durch Corona so überlastet, dass die Schließung der Notaufnahme drohte. „Leuchtkugel rot“, erinnert sich der Oberstleutnant. „Dieses Krankenhaus stellt schließlich die Notfallversorgung für rund 130.000 Menschen im Süden der Stadt und darüber hinaus sicher.“ Beeten meldete den drohenden Engpass an sein vorgesetztes Landeskommando in Düsseldorf – und in kürzester Zeit waren fünf erfahrene Sanitätskräfte aus Kerpen und Rennerod zur Stelle und unterstützten speziell das überlastete Personal. Die Schließung war damit abgewendet.

„Wir betreuen sämtliche Einsätze der Bundeswehr der zivil-militärischen Zusammenarbeit in Mönchengladbach, schaffen die notwendigen administrativen Voraussetzungen und stellen die Kontakte zur Stadtverwaltung, in Krankenhäuser sowie in Alten- und Pflegeeinrichtungen her“, beschreibt Beeten den Auftrag seines kleinen Teams. In jeder Lage sind eingesetzte aktive Kontingente zum Beispiel des Versorgungsbataillons 7 aus Augustdorf in Westfalen, von dem Panzerpionierbataillon 130 aus Minden und dem Luftwaffentruppenkommando aus Köln-Wahn aktiv bei ihrem Einsatz zu unterstützen. „Die Soldatinnen und Soldaten sind hoch motiviert, die Zusammenarbeit macht sehr viel Freude“, lobt Roland Beeten. So packt die Bundeswehr auch dort unbürokratisch an, wo kurzfristig Hilfe nötig wird, zum Beispiel beim Aufbau eines Computerprogramms für die Nachverfolgung von Ansteckungen oder bei der Neustrukturierung des wegen der Pandemie überlaufenden Email-Eingangs im Gesundheitsamt. Beeten hebt besonders Hauptmann Benjamin Würtele und Feldwebel Laura Schenk vom Luftwaffentruppenkommando hervor, die unermüdlich Lösungen gesucht und Abläufe optimiert hatten: „Was die beiden für die Stadt geleistet haben, ist schon außergewöhnlich.“
Die Soldatinnen und Soldaten stießen bei ihren neuen Aufgaben zunächst auf unerwartete Probleme: Im Gesundheitsamt sei teilweise noch mit Akten, Notizzetteln, mit Bleistiften und Faxgeräten gearbeitet worden. Auch die Führungs- und Organisationserfahrung der Truppe wird dankbar angenommen – „eine Gratwanderung“, sagt Beeten. Schließlich ist der Paragraf 35, Absatz 1 des Grundgesetzes Basis seiner Arbeit: „Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.“ So befasste sich Beeten in einem Fall mit einer ausgewogenen Arbeitsverteilung, als deren zivile Vorgesetzte anderswo aktiv waren, „beratend“, wie er betont.
Vor allem in der Nachverfolgung sind die Frauen und Männer in Uniform, die, durch Sperrholzwände abgetrennt, Seite an Seite mit den städtischen Mitarbeitenden telefonieren, nicht nur detektivisch, sondern auch als einfühlsame Zuhörende, Beratende oder gar seelsorgerisch gefragt, berichten sie. Immer wieder kommt es so für die Mitarbeitenden in der Kontaktnachverfolgung zu belastenden Telefongesprächen. Oberstleutnant Beeten hat deshalb kurzfristig entsprechende Kontakte unter anderem zu den Kirchen geknüpft. So kann sofort geschultes Ansprechpersonal vermittelt werden, damit es nicht zu dauerhaften Belastungen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kommt. Dabei gilt das Angebot selbstverständlich für die zivile Seite genauso wie für die unterstützenden Soldatinnen und Soldaten.

Stabsfeldwebel Jürgen Hillers bedient das „Hauptwaffensystem“ des KVK, ein Mobiltelefon. Fast ununterbrochen klingelt es: Neues militärisches Personal ist angekündigt und braucht eine Einweisung, die Stadtverwaltung hat Fragen, das DRK will etwas Organisatorisches zur Ausbildung wissen. Major Holger Malenkowski, der stellvertretende KVK-Leiter, kommt gerade von einem Gespräch mit der Amtsleitung zurück: Das derzeit noch gemischte Team zur Führung der Kontaktnachverfolgung inklusive Qualitätssicherung soll zeitnah mit der Beendigung des laufenden Unterstützungskontingents vollständig in die Hände der zivilen Seite übergeben werden. Hierzu zählt auch die Betreuung des System SORMAS, des neuen computergestützten integrierten und vernetzten Kontaktpersonenmanagements. Aber das geht im öffentlichen Dienst nicht so einfach auf Zuruf. „Die Gespräche verlaufen aber sehr kooperativ und sind auf gutem Weg“, berichtet Malenkowski. Dabei kann der Offizier vor allem auf die Unterstützung des Leiters des städtischen Fachbereichs Gesundheit, Amtsarzt Dr. Klaus Laumen als Oberstarzt der Reserve, und einen seiner Stellvertreter, Dr. Paul-Achim Mester als Reservist der Marine, bauen. Beide kennen die Strukturen und Abläufe in der Bundeswehr gut.
Die KVK’s sind eigentlich eher für kurzfristigere Einsätze im Rahmen der Katastrophenhilfe gedacht. Doch das örtliche Sextett erfährt im Fall der Pandemie viel Entgegenkommen von den Arbeitgebenden. So ist Jürgen Hillers bei einem japanischen Unternehmen tätig und gleich für drei Monate freigestellt worden. „Für die Japaner ist es eine Ehre, wenn Mitarbeitende eine solche Aufgabe für die Allgemeinheit wahrnehmen.“ Roland Beeten wird maßgeblich von seiner Frau Irina unterstützt. Sie muss sich jetzt verstärkt nicht nur um die Firma, sondern auch um die beiden Kinder kümmern: Mathias (9) kann wegen der Pandemie nicht in die Schule, Marianne (6) nicht in den Kindergarten. Was Beeten aber motiviert ist, dass die Unterstützung der Bundeswehr vielen Mitmenschen hilft und vielleicht sogar Menschenleben rettet. „So kosten die Schnelltests die Pflegekräfte im Arbeitsalltag viel Zeit, durch unsere Unterstützung wird davon wieder etwas mehr für ihre eigentliche Arbeit frei“, nennt Roland Beeten ein Beispiel.

„Herzlichen Dank für die große Kooperationsbereitschaft!“ So würdigt der Mönchengladbacher Oberbürgermeister Felix Heinrichs das Engagement der Soldatinnen und Soldaten. „Wir sind sehr froh über die Unterstützung der Bundeswehr bei der Bewältigung der Corona-Pandemie.“ Diese Form der Amtshilfe zeige deutlich, was erreichbar sei, wenn zivile und militärische Stellen eng zusammenarbeiteten. Heinrichs: „Davon profitieren letztlich alle Bürgerinnen und Bürger in Mönchengladbach.“