„Wir wissen, dass Stephanie dort glücklich ist“

09. Dezember 2022 Bereich Nord Bereich Ost Bereich Süd Bereich West Berichte

Das Ehepaar Marten berichtet über die Erfahrungen mit den Angeboten des BwSW für Beeinträchtigte – nicht nur für ihre Tochter sei das jedes Mal eine wertvolle Auszeit

Von Helmut Michelis

Wer kann schon von sich behaupten, auf die Titelseite einer Zeitschrift gekommen oder von einem Stormtrooper aus „Star Wars“ begleitet worden zu sein? Stephanie Marten (29) aus Köln hat beides geschafft – und vieles mehr. Die junge Frau leidet am Down-Syndrom, ihre körperliche und geistige Entwicklung ist verzögert, außerdem zeigt sie autistische Züge. Aber sie kämpft sich, begleitet von ihren Eltern Barbara und Udo und der Schwester Jessica, trotz aller Beeinträchtigungen erfolgreich durchs Leben. Die Familie ist dankbar für die große Unterstützung, die sie seit Jahren durch das Bundeswehr-Sozialwerk erfährt. 

Seit 2007 hat Stephanie Marten bereits an den Freizeiten für beeinträchtigte Jugendliche teilnehmen können, gerade ist sie erstmals von einer Freizeit der Älteren aus Grünheide bei Berlin zurückgekehrt. In der elterlichen Wohnung in Köln signalisiert sie auf ihre Weise, dass ihr dieser Urlaub wieder sehr gut gefallen hat. 14 Tage hat Steffi bei einem bunten Programm, zu dem auch die Darsteller von „Star Wars“ gehörten, Spiel, Spaß und Freude erlebt. Beim fröhlichen Tanz in der Disco sei sie regelrecht aufgeblüht, berichten die Eltern und zeigen zum Beweis ein Video. Auf jeden Teilnehmer kam im Haus am Werlsee ein Mitglied des 19-köpfigen Betreuungsteams, auch medizinisch geschultes Personal, das rund um die Uhr ehrenamtlich für die Schützlinge bereitgestanden hat.

„Wir ziehen den Hut vor diesen Menschen, die diese anspruchsvolle Aufgabe in ihrer Freizeit auf sich nehmen“, betonen Barbara und Udo Marten. „Sie leisten jedes Mal einen ganz tollen Job.“ Tochter Steffi, die gerade mit ihrem Vater auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzt, ist inzwischen ein echter „BwSW-Profi“ geworden: Neunmal hat sie bereits diese besonderen Freizeitangebote wahrgenommen. Auf diese Weise war sie 2020 auch auf das Titelbild des Mitgliedermagazins gekommen, an ihrer Seite Betreuerin Lisa Nelles.  Zuletzt sei Steffi bei der Betreuerin Kirstin Melchinger, selbst Mutter, in besten Händen gewesen. „Wir wussten: Da passiert nichts. Wir müssen uns keine Sorgen machen.“ Der Name von Ute Zielberg, der Cheforganisatorin dieser Freizeiten, fällt an diesem Nachmittag ebenfalls mehrfach lobend.       

Diese speziellen Freizeitangebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Beeinträchtigungen bietet das BwSW inzwischen bereits seit mehr als drei Jahrzehnten an. Dank der Spendenbereitschaft innerhalb und außerhalb der Bundeswehr konnte das BwSW bislang diese aufwändigen Ferienfreizeiten fast komplett finanzieren und den Eigenbeitrag für die Familien entsprechend niedrig halten. Diese Wochen sind, indirekt, auch für viele Eltern ein attraktives Urlaubsangebot: Sie können sich in dieser Zeit von der sonst pausenlosen und kräftezehrenden Pflegearbeit erholen, „endlich einmal durchschnaufen und den Akku wieder aufladen“, wie auch die Martens dankbar betonen. „Eine solche Freizeit ist für uns ein Aufatmen. Wir wissen, dass Stephanie dort glücklich ist.“

Wie zum Beweis zeigen sie eine der ganz persönlich gestalteten Mappen mit vielen Texten, Fotos und Zeichnungen zu der Freizeit, die Stephanie von ihrer Betreuerin Vanessa erhalten hat. Darin sind die zahlreichen bunten Aktivitäten aufgeführt, die auch jetzt wieder von der Bootsfahrt auf der Spree bis zum Besuch des IT-Bataillons 381 in Storkow reichten. Es sei jedes Mal anrührend gewesen, wenn sie ihre Tochter wieder abgeholt hätten. „Die Abschiede waren tränenreich, die Umarmungen wollten nicht aufhören. Das fühlt sich richtig an“, sagt Udo Marten. Der 53-Jährige hat seine Wehrpflicht 1989/90 beim Wachbataillon des Bundesverteidigungsministeriums geleistet, das damals in Siegburg stationiert war. „Das war eine spannende Zeit mit vielen Staatsgästen, die man vorher nur aus dem Fernsehen und der Zeitung kannte.“ Als Obergefreiter der Reserve ist der begeisterte Hobby-Fotograf mit professionellem Anspruch – einige eindrucksvolle Motive von der Insel Norderney schmücken im Großformat die Wohnung – ausgeschieden und arbeitet bereits seit 26 Jahren im Vertrieb eines weltbekannten Klebstoffherstellers mit drei Buchstaben. Aber erst der Ziehvater seiner Frau, ein Hauptfeldwebel und Berufssoldat, habe ihn als Mitglied für das BwSW geworben – „eine recht späte, aber sehr gute Entscheidung.“ Erste Kontakte mit der Organisation hatte das Ehepaar dann bei einem Weihnachtsbasar in der Kölner Konrad-Adenauer-Kaserne, wo es auch Hauptmann a.D. Winfried Mennemann, den langjährigen verdienten Zahngold-Sammler des Sozialwerks, kennen- und schätzenlernte.

Für das Ehepaar Martens war vor drei Jahrzehnten die Welt zusammengebrochen, als es, ohne jede Vorwarnung, von der Beeinträchtigung seines kleinen Wunschkindes erfuhr. „Wir sind in ein tiefes Loch gefallen, waren zunächst zutiefst verzweifelt. Damals gab es das Wort ,Inklusion‘ noch gar nicht. Die Vorurteile waren erschreckend groß“, sagt Mutter Barbara. So sei ihr und Steffi der Teilnahme an der kirchlichen Krabbelgruppe im Stadtteil verweigert worden „Wie störten doch nur den Ablauf, hieß es“, erinnert sich die 59-Jährige. „Also mussten wir uns selbst helfen.“ Mit Unterstützung des Pastors baute sie eine eigene Gruppe auf, die sie drei Jahre lang führte und zu der bald regelentwickelte Mädchen und Jungen stießen. „Heute ist der Umgang mit beeinträchtigten Kindern zum Glück viel normaler geworden. Wir haben Pech gehabt, dass es damals fast keine Angebote für Steffi gab.“  

Stephanie platziert, auf dem Sofa sitzend, gerade die Kissen exakt nach ihrer gewohnten Ordnung – „wenn alles so ist wie immer, dann fühlt sie sich wohl“ – und spielt danach auf dem Teppich versonnen mit ihrer Puppe. Sie ist jetzt bei ihren Eltern in Köln-Weidenpesch nur noch regelmäßig zu Besuch. Denn die erwachsene Frau lebt mittlerweile im Ortsteil Chorweiler in einer Wohngruppe und arbeitet in einer Werkstatt, in der sie unter anderem Kleiderbügel produziert. „Sie liebt ihre Arbeit. Es macht ihr Spaß, und sie ist dabei sehr verantwortungsbewusst.“ Der Corona-Ausbruch sei aber für ihr Kind verheerend gewesen, berichten die Martens. Zunächst habe Steffi in ihrem 14 Quadratmeter großen Zimmer in Quarantäne bleiben müssen und habe dort hilflos wartend stundenlang im Dunkeln gesessen. „Sie braucht aber eine stetige Ansprache, was die wenigen Betreuer in dieser Ausnahmesituation nicht leisten konnten.“

Anschließend kam die junge Frau wieder für einige Wochen nach Hause zurück. „Ein Glück, dass schließlich die Teilnahme an dieser Freizeit möglich war. So hat sie wieder einen deutlich erkennbaren positiven Schub erhalten.“ Auch in Grünheide habe Stephanie ein Einzelzimmer bekommen, was für sie wichtig sei. Und erfreulich individuell sei auf ihre Wünsche eingegangen worden. „Zu Tieren kann sie beispielsweise kein Verhältnis aufbauen, sie beunruhigen sie. Deshalb musste sie nicht an einem Zoobesuch teilnehmen, sondern für sie wurde in dieser Zeit ein anderes Programm ausgearbeitet.“ Für Steffi sei die Teilnahme an den BwSW-Freizeiten „ein Nachhause-Kommen, das merken wir immer wieder, wenn wir sie zum vereinbarten Treffpunkt bringen.“

Der Kontakt der Martens ist trotz der räumlichen Entfernung weiterhin eng: Jeden Mittwochabend sei Familienzeit, da stünden gemeinsame Spaziergänge und Spiele auf dem Programm. „Steffi ist beim Memory unschlagbar“, berichtet Barbara Marten. Auch Tochter Jessica geht inzwischen eigene Wege. Sie arbeitet bei der Caritas und hat sich, wahrscheinlich beeinflusst durch den Umgang mit ihrer älteren Schwester, unter anderem auf Reittherapie spezialisiert. Barbara und Udo Marten haben nun endlich etwas mehr Zeit für sich und nutzen sie unter anderem für gemeinsame Wanderungen mit befreundeten Ehepaaren. Es werde sich jedoch wohl nie ändern, dass man sich um Steffi besonders kümmern und auf Zuruf schnell für sie da sein müsse. Aber, so setzt Barbara Marten hinzu: „Man wird über die Jahre hinweg zunehmend gelassener. Dieses Leben hat uns stark gemacht.“