Vor Einsatz auch die Psyche stärken
Oberstarzt Peter Zimmermann ist die Prävention ein wichtiges Anliegen
Von Helmut Michelis
Ist eine Posttraumatische Belastungsstörung überhaupt heilbar? Heilung sei in der Psychiatrie ein schwieriger, eher unpassender Begriff, antwortet Oberstarzt Professor Dr. Peter Zimmermann, einer der führenden PTBS-Experten in der Bundeswehr. „Die Übergänge sind fließend. Es geht vielmehr um Symptomkontrolle.“ Der Betroffene solle wieder „normal“ am Leben teilhaben können, ob in der Familie oder am Arbeitsplatz. Und hier gebe es durchaus gute Aussichten, die mit einer Heilung vergleichbar seien: 60 bis 80 Prozent der Erkrankten gelinge dieser schwierige Rückweg in den Alltag.
„Es gibt sogar positive seelische Wachstumsprozesse nach Traumatisierungen. Denn es werden auch vielfältige Gedanken angestoßen, die einen Menschen reifen lassen“, betont Prof. Zimmermann. „Viele Traumatisierte sagen deshalb sogar, dass sie die Wiederherstellung ihres früheren Zustandes gar nicht wünschen. Zurück in unserer Wegwerfgesellschaft entwickeln sie beispielsweise mehr Wertschätzung gegenüber materiellen Dingen.“
Oberstarzt Zimmermann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit Zusatzqualifikationen für die Psychotraumatologie und die Gruppenanalyse, ist 1986 unmittelbar nach dem Abitur als Sanitätsoffizieranwärter in die Bundeswehr eingetreten. Seitdem hat sich der gebürtige Mainzer intensiv um die psychische Gesundheit von Soldatinnen und Soldaten gekümmert. „Das hat sich damals durch meine Famulatur, mein medizinisches Praktikum am Bundeswehr-Zentralkrankenhaus in Koblenz, so gefügt“, sagt der 54-Jährige im Gespräch bescheiden. Seit Januar 2009 ist er Leitender Arzt der Abteilung „Psychiatrie und Psychotherapie“ des Bundeswehrkrankenhauses Berlin. Damit untersteht ihm auch das deutschlandweit einmalige Psychotraumazentrum. Es hat den Auftrag, die Bereiche der Entstehung, Diagnostik, Prävention, Behandlung und Nachsorge einsatzbedingter und nicht einsatzbedingter psychischer Erkrankungen durch wissenschaftliche Projekte voranzubringen und dabei in erster Linie einen direkten Nutzen für die betroffenen Soldaten und ihr psychosoziales Umfeld zu generieren.
„Wir haben Behandlungsmethoden entwickelt, die es im zivilen Bereich noch nicht gab. Unsere Stärke ist die interdisziplinäre Arbeit, nicht nur mit zivilen niedergelassenen Psychiatern und Psychotherapeuten, sondern auch mit einer engen Einbindung der Militärseelsorge. Das war eine Menge Arbeit, aber mit dem Ergebnis bin ich durchaus zufrieden.“ Doch nicht nur mit seinem Zentrum sei die Bundeswehr sehr gut aufgestellt, betont Zimmermann. Es gebe darüber hinaus bereits in jedem Bundeswehrkrankenhaus, den Facharztzentren sowie den psychosozialen Diensten der Bundeswehr ein breites und qualifiziertes Angebot an Hilfen, das betroffene Soldatinnen und Soldaten in Anspruch nehmen könnten und unbedingt möglichst zeitnah sollten. Die meisten Fachärzte der Bundeswehr verfügten selbst über Einsatzerfahrungen, könnten also gut nachvollziehen, was die Rückkehrer in Extremsituationen in einer fremden Kultur erlebt hätten.
Diese schockierenden Erlebnisse müssten nicht in einer PTBS münden, sondern könnten auch eine moralische Verletzung sein: „Der zurückgekehrte Soldat hat Erfahrungen machen müssen, die sein Wertesystem erschüttert haben. Die Folgen sind ein verstärktes Abkapseln von der Umwelt, in Depression mündende düstere Grübeleien und eine zunehmende Aggressivität bis hin zu Selbstmordgedanken.“ Dabei müssten es nicht Extremsituationen sein – wie im Mittelmeer ein totes Flüchtlingskind aus dem Wasser zu ziehen, in Afrika schwere Misshandlungen miterleben zu müssen oder in Afghanistan ein Selbstmordattentat. „Der zurückgekehrte Soldat, der erlebt hat, wie wertvoll eine Flasche Wasser in der Wüste ist, wird wütend, wenn jemand in der Heimat achtlos Wasser wegschüttet, oft noch nach Jahren.“ Während Posttraumata bei deutschen Soldatinnen und Soldaten leicht rückläufig seien, nähmen diese „moral injurys“ zu, die häufig mit Tabletten-, Nikotin- und Alkoholsucht verbunden seien. „Die Kampfhandlungen in den Auslandseinsätzen werden weniger. Dafür schieben sich andere Belastungen in den Vordergrund: die Trennung von zu Hause mit Problemen in der Beziehung, außerdem das Erleben von Leid und Elend vor Ort.“

Das Psychotraumazentrum umfasst eine Forschungssektion und ist insbesondere in der wissenschaftlichen Neu- und Weiterentwicklung aktiv, zum Beispiel, wenn es um tiergestützte Therapien geht. „Tiere reagieren auf solche Störungen bei Menschen sehr empfindlich, haben darin gewissermaßen eine nonverbale Kompetenz, die wir nutzen“, erläutert Zimmermann. Speziell der Einsatz von Pferden habe sich bewährt. „Es geht nicht nur um das Reiten, sondern zum Beispiel auch um den Kontakt zu den Tieren durch deren Pflege, immer eng begleitet von Therapeuten.“ Auch mit Delphinen habe man auf der niederländischen Karibikinsel Curaçao experimentiert, was sich aber schon räumlich als zu aufwändig erwiesen habe.
Psychiatrische Erkrankungen haben eine erhebliche Auswirkung auf das soziale Umfeld der Betroffenen. Angehörige psychisch Erkrankter haben daher eine maßgebliche Rolle im Heilungsprozess. Aus diesem Grund hat die therapeutische und wissenschaftliche Arbeit des Psychotraumazentrums einen weiteren Schwerpunkt in der Erforschung der Belastung von Ehepartnern und auch Kindern traumatisierter Soldatinnen und Soldaten sowie in der Entwicklung von therapeutischen Angeboten, ebenfalls in Kooperation mit der Militärseelsorge sowie mit der Universität Ulm. Aus dieser Arbeit entstanden neben wissenschaftlichen Studien bereits ein altersgerechtes Buch für Kinder traumatisierter Soldaten sowie mehrere Informationsbroschüren.
Kann sich eine Soldatin oder ein Soldat vorbeugend mit dem Thema PTBS auseinandersetzen? „Ja“, sagt der Oberstarzt, dem diese Prävention ein besonderes Anliegen ist. „Mit der Psyche schießt man im Einsatz nicht. Aber die Auseinandersetzung mit ihr ist genauso wichtig wie das Beherrschen der Waffe. Krieg ist nun einmal ungeheuer brutal und letztlich unberechenbar. Umso wichtiger ist, dass Menschen vorher für die Gefahren eines Einsatzes sensibilisiert werden. Das hat eine Schutzwirkung. Wichtig ist auch die Ausbildung des Führungspersonals, damit erste Anzeichen bei den unterstellten Soldatinnen und Soldaten möglichst schnell erkannt werden.“ Dafür gebe es praxisnahe Hilfestellungen, die sich Soldatinnen und Soldaten vor einem Einsatz unbedingt anschauen sollten. „Gerade die richtige Vorbereitung ist wichtig, auch wenn man noch gar keine Anzeichen aufweist oder der Einsatz erst bevorsteht.“
Oberstarzt Zimmermann stellt hier die Smartphone-App „Coach PTBS“ heraus, die gemeinsam mit der Technischen Universität Dresden und der Bundeswehruniversität in München entwickelt worden ist und bereits kurz nach der Freischaltung mehrere tausend Mal heruntergeladen worden sei. Betroffene können – auch wenn sie nicht der Bundeswehr angehören – ihr eigenes Netzwerk zur Unterstützung erstellen. Diese App sei eine gute Möglichkeit, im Rahmen des Selbstmanagements Beschwerden zu erkennen und zu lindern und bei Bedarf weitere professionelle Hilfe zu finden. Ferner empfiehlt der Oberstarzt die Websites „ptbs-hilfe.de“ und „Angriff-auf-die-Seele.de“. Sie gäben ebenfalls, ergänzt durch Erklärvideos, wertvolle praxisnahe Tipps. Ergänzt werde dieses Angebot durch eine kostenfreie 24/7 Telefonhotline der Bundeswehr mit der Rufnummer 0800-5887957. „Hier achten wir ebenfalls darauf, dass ein Anrufer gesichert anonym bleiben kann.“