Reisen ist mehr als nur ein Ortswechsel

08. Oktober 2024 Bereich Nord Bereich Ost Bereich Süd Bereich West Wir haben geholfen

Ein Weg zurück in die Normalität

Wir reisen aus den unterschiedlichsten Gründen und Anlässen – z.B. privat, um Familie und Freunde zu besuchen, oder aus beruflichen Gründen, um an Messen, Konferenzen u.Ä. teilzunehmen. Hierbei handelt es sich in der Regel um einen Ortswechsel, den wir zwangsläufig in Kauf und nicht als etwas Besonderes (wahr-) nehmen.

Wir reisen aber auch, um in der Ferne – an einem schönen Ort – Urlaub zu machen, um zu entspannen, den Alltag hinter uns und die Seele baumeln zu lassen. Denn – indem wir uns von A nach B bewegen, passiert etwas mit uns. Wir gewinnen Abstand zum Alltag, den Pflichten und der Routine, die uns zu Hause auf Trab halten und eher wenig Gelegenheit bieten, um innezuhalten. Dieser Abstand ist umso wichtiger, wenn wir unter außergewöhnlichen Belastungen leiden – dann bedeutet eine Reise nicht nur Erholung, sie kann sogar Heilungsprozesse fördern und unterstützen. Darum überreicht das Bundeswehr-Sozialwerk (BwSW) gerne Reisegutscheine für eine Auszeit in einer seiner eigenen Ferienanlagen.

Im Falle von Familie Stojanovic aus Salzkotten war jedoch an eine gemeinsame Reise zunächst nicht zu denken. Oberstabsgefreiter Christian Stojanovic – nach mehreren Auslandseinsätzen in Afghanistan 2008, 2013 und 2014 zwar körperlich unversehrt, aber seelisch schließlich schwer traumatisiert heimgekehrt – litt unter verschiedenen Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Dazu gehörten neben Flashbacks und Schlafstörungen auch Panikattacken, die ihm das Autofahren oder gar Reisen unmöglich machten.

Zusätzlich zu seinem persönlichen Schicksal hatten die Einsätze auch seiner Familie außergewöhnlich viel abverlangt. Kurz vor dem zweiten Einsatz war Tochter Maylea geboren, während des dritten Einsatzes kam nach einer Risikoschwangerschaft Sohn Lio zur Welt, ohne dass Christian Stojanovic seiner Frau Claudia während der Schwangerschaft oder bei der Geburt beistehen konnte. Überhaupt musste sie in diesen Jahren im wahrsten Sinne des Wortes allein „ihren Mann stehen“.

Als ihr Mann dann endlich wieder nach Hause kam, war er nicht mehr derselbe. Verschiedene Therapien brachten Linderung, aber immer wieder traten Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung und – dadurch bedingt – auch Schmerzen auf. Christian Stojanovic erlebte dann das, was oft im Umfeld von traumatisierten Personen passiert. Zunächst begegnet man ihnen mit viel Empathie, wenn die Symptome dann aber nicht dauerhaft verschwinden, mangelt es – anders als bei einem Knochenbruch – an Geduld und Verständnis. Dies, so beschreibt er, ist eigentlich ein zweiter Kampf, der zusätzlich zur seelischen Erkrankung vor allem beruflich existentiell bedrohlich wirkt. Trotz seiner Erfahrung sei er aber nach wie vor stolz, Soldat zu sein und die Werte Deutschlands zu verteidigen. Tatsächlich arbeitet Christian Stojanovic mittlerweile wieder in Vollzeit, und er kann auch wieder reisen.

So trat die Familie 2018 – auch dank eines vom BwSW überreichten Reisegutscheins – nach Jahren endlich ihre erste gemeinsame Reise an. Diese führte sie zuerst eine Woche nach Rügen, wo Christian Stojanovic, der vor seinen Einsätzen begeisterter Sportler gewesen war, erstmals wieder die Kraft zum Schnorcheln in der Ostsee fand. Dann ging es für eine weitere Woche an den Gardasee. Dort hat es sowohl den Kindern als auch den Eltern so gut gefallen, dass sie die Reise auf eigene Kosten noch ein paar Tage verlängerten. „Dies war der schönste Urlaub, den wir je verbracht haben“, sagt Christian Stojanovic. Tatsächlich drangen dort die seelischen Belastungen in den Hintergrund. Er konnte sogar die Berge „ertragen“, was ihm seit seinen Einsätzen in Afghanistan eher schwergefallen war.

Als die Stojanovics dieses Jahr nun einen weiteren Reisegutschein erhielten, waren nicht nur die Freude und Dankbarkeit darüber groß, sondern auch die Frage nach dem Ziel war sehr schnell einstimmig geklärt: Nächsten Sommer wird es wieder nach Tremosine am Gardasee gehen. Die Hoffnung, dass dieser Urlaub dann ein weiterer Schritt zurück in die „Normalität“ und zum Vergessen des Erlebten ist, reist selbstverständlich mit. Das Team des BwSW wünscht Familie Stojanovic dafür von Herzen alles Gute.

Text: Sabine Krämer-Uhl