Jetzt wächst die Sehnsucht nach einem normalen Leben
Fünf Fragen an Susanne Bruns – Der Psychologische Dienst der Bundeswehr in Zeiten der Pandemie
Seit mehr als einem Jahr verändert die Corona-Pandemie unseren Dienst und unser Privatleben. Susanne Bruns ist Referatsleiterin im Bundesministerium der Verteidigung und leitet den Psychologischen Dienst der Bundeswehr. Wir haben sie gefragt, wie sich die Pandemie auf die Aufgaben der Psychologinnen und Psychologen auswirkt.
Frau Bruns, wie hat der Psychologische Dienst auf den Ausbruch der Pandemie reagiert?
In Krisen- und Belastungslagen fühlen sich Menschen oft überfordert. Sie erleben vielleicht Ängste um das eigene Wohlergehen oder das von vertrauten Personen, um wirtschaftliche oder karriererelevante Verschlechterungen, um Gesundheitsbeeinträchtigungen, den eigenen Tod oder den Tod von geliebten oder nahestehenden Personen. Daher haben wir gleich zu Beginn der Pandemie darauf reagiert, dass es Bundeswehrangehörige geben würde, die eine besondere Unterstützung in dieser Zeit benötigen. Wir haben in Zusammenarbeit mit den anderen Diensten des Psychosozialen Netzwerks der Bundeswehr eine Handreichung erstellt, die sich mit Bewältigungsmöglichkeiten der psychischen Belastungen beschäftigt. Sie wurde dann in der ganzen Bundeswehr verteilt und hat sehr viele Menschen erreicht.
Gleichzeitig waren jedoch die Angehörigen des Psychologischen Dienstes selbst ebenso betroffen wie der Rest der Bundeswehr. Auch unsere Kolleginnen und Kollegen müssen z.B. vierzehn Tage in isolierter Unterbringung verbringen, bevor sie in den Auslandseinsatz verlegen können. In der Personalgewinnung mussten die Arbeitsabläufe in Bezug auf die Einhaltung von Hygienemaßnahmen angepasst werden. Und es gab auch Situationen, in denen zeitweise gar keine Arbeitsfähigkeit gegeben war, weil eine entsprechende IT-Ausstattung fehlte.
Welche Themen belasten die Menschen denn aktuell besonders?
Corona und der lange Lockdown gehen nicht spurlos an den Menschen vorbei. So manche Familie hat finanzielle Einbußen, Krankheits- oder sogar Todesfälle zu verkraften. Ungewohnte Betreuungspflichten sind zu erfüllen, wenn Kinder nicht in den Kindergarten oder die Schule gehen können. Angehörige, die in Pflegeeinrichtungen leben, können nicht besucht werden. Entscheidend für das psychische Wohlbefinden sind aber auch die ganz normalen sozialen Kontakte – das Treffen mit Verwandten und Freunden. Diese sind natürlich zurzeit auch stark eingeschränkt.
Ich denke, dass die meisten Menschen sehr, sehr geduldig sind. Aber mir scheint auch, dass gerade jetzt im Frühling, bei vielen die Sehnsucht nach Normalität wächst. Insbesondere auch die Sehnsucht, in die Ferne zu reisen, die Sehnsucht nach Sonne, Meer und Bergen. Und mit der Sehnsucht wächst gegebenenfalls auch die Unzufriedenheit, sich weiterhin einschränken zu müssen.

Gab oder gibt es auch einen besonderen Beratungsbedarf bei den Führungskräften?
Auf jeden Fall. Es gab ja insbesondere zu Beginn sehr viele ungewöhnliche Themen, die an die Führungskräfte herangetragen wurden, die sowohl Auswirkungen auf das physische, aber auch auf das psychische Wohlbefinden der Menschen haben können. Hier galt es, schnell zu handeln und zu entscheiden. Das war auch für die Führungskräfte nicht immer leicht, und sie zogen auch fachliche Unterstützung zurate. Psychologinnen und Psychologen waren und sind daher auch in Themen wie Homeoffice, Corona-Hilfe, Pflichten in der Kinderbetreuung, psychologische Unterstützung des Sanitäts- und Pflegepersonals, Einrichtung einer Hotline, Organisation von isolierter Unterbringung für Einsatzkräfte und ähnliche Fragen eingebunden.
In der Führungsberatung gilt es, nicht selbst das konkrete Problem lösen zu wollen, sondern den oder die Ratsuchende darin zu unterstützen, ihre oder seine professionelle Problemlösekompetenz zu stärken und eine angemessene Entscheidung herbeizuführen. Jetzt, nachdem wir uns alle irgendwie mit den Auswirkungen der Pandemie arrangiert haben, geht es in der Führungsberatung zum Beispiel auch um Fragestellungen wie die Aufrechterhaltung der dienstlichen Motivation und psychischen Durchhaltefähigkeit.
Haben Sie konkrete Tipps für die Bewältigung der psychischen Belastungen?
Gerade wenn Menschen besonderen Belastungen ausgesetzt sind, brauchen sie Möglichkeiten, sich zu entspannen, sich auch mal zurückzuziehen, Abstand zu gewinnen oder sich bei Freunden oder Verwandten auszusprechen. Derzeit ist aber vieles nicht möglich, das uns normalerweise hilft, dem Alltag zu entfliehen und uns zu entspannen. Wenn jemand z.B. am Wochenende gerne auf den Fußballplatz geht, so ist das zurzeit eben nicht möglich. Sportstätten sind nur eingeschränkt nutzbar, Restaurants geschlossen, Events verschoben und nicht zuletzt sind persönliche Kontakte stark reduziert.
Mein Tipp ist, sich vielleicht mehr als sonst darüber Gedanken zu machen, wie man andere Möglichkeiten der Entspannung finden kann. Wie wäre es mit einer anderen Sportart, Wandern oder Radfahren zum Beispiel? Etwas Kreatives machen wie Basteln oder Malen? Mal Entspannungsverfahren ausprobieren? Es gibt da tolle Apps mit Achtsamkeitsübungen.
Als Psychologin rate ich aber immer vor allem auch dazu, mit jemandem darüber zu sprechen, wenn man eine Situation als belastend empfindet. Zunächst einmal mit der Partnerin oder dem Partner, mit Freunden, Angehörigen, Kolleginnen und Kollegen oder Kameraden und Kameradinnen. Die Sorgen zu teilen, entlastet oft schon, vielleicht kann einem jemand einen Tipp oder eine Hilfestellung geben. Das Gespräch kann aufkommenden Konflikten entgegenwirken. Und wenn man nicht weiterkommt, dann kann man sich in der Bundeswehr bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der psychosozialen Fachdienste Hilfe suchen: nicht nur beim Psychologischen Dienst, sondern auch beim Sozialdienst, der Militärseelsorge oder den Truppenärztinnen und Truppenärzten.
Frau Bruns, haben Sie abschließend noch eine besondere „Message“ für die Mitglieder des Bundeswehr-Sozialwerks?
Ich würde mir wünschen, dass die Mitglieder weiterhin dem Bundeswehr-Sozialwerk treu blieben. Jede Spende für die Sorgenkinder, aber auch jede Buchung unterstützt den Verein - besonders in diesen Zeiten. Mein Mann und ich sind selbst Fans und jedes Jahr ein paar Tage in einem der Häuser zu Gast. Sie sind in attraktiven Urlaubsregionen gelegen, und wir fühlen uns aufgrund der Mitgliedschaft immer auch irgendwie als Teil der Bundeswehr-Sozialwerk-Familie.