Einpacken am Hindukusch

23. Juli 2021 News Bundeswehr im Einsatz Bereich Nord Bereich Ost Bereich Süd Bereich West Berichte Spendenaktionen

Am Ende des Afghanistan-Einsatzes unterstützen Radio Andernach und der Smokers Club die „Aktion Unvergessen“

von M.H.

Nach fast 20 Jahren endet die Mission Resolute Support (RS) in Afghanistan als größter Einsatz in der Geschichte der NATO und auch der Bundeswehr. Für sie begann damit ein neues Kapitel, denn „erstmals beteiligten sich deutsche Soldaten an einer Patrouille in der kriegszerstörten Stadt (Kabul)“, wie die Bundeswehr im Rückblick erläutert. Es war der bislang intensivste und auch verlustreichste Einsatz. „Wir verlassen Afghanistan mit Stolz. Wir haben alle Aufträge erfüllt, die uns vom Parlament gegeben wurden“, so bilanziert Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer die Mission in einem Interview. Nun sei allerdings auch die Zeit gekommen, eine Debatte über die “offene und ehrliche Bilanz des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan“ zu führen. Das sei aber nicht nur Aufgabe des Verteidigungsministeriums, so Kramp-Karrenbauer, sondern auch Bundesregierung, Parlament und die gesamte Politik müssten diese Debatte führen. Eine Evaluierung des Einsatzes hatten zuletzt auch die Opposition und die Wehrbeauftragte Eva Högl gefordert, um daraus Schlussfolgerungen für andere Einsätze ziehen zu können.

Die Verteidigungsministerin ist überzeugt, dass der Afghanistan-Einsatz die Bundeswehr nicht nur entscheidend bewegt, sondern auch Generationen von Soldatinnen und Soldaten prägen wird. Dabei sei es wesentlich, die Erinnerung an die Gefallenen und Verletzten wachzuhalten und keine „rein faktische Auseinandersetzung“ zu führen, sondern eine emotionale. „Um diese emotionale Komponente geht es mir insbesondere. Das sind wir den Menschen, den Soldatinnen und Soldaten und ihren Angehörigen schuldig.“

„Aktion Unvergessen“ und Radio Andernach

Diesem von der Verteidigungsministerin formulierten zentralen Anliegen fühlt sich auch die „Aktion Unvergessen“ des Bundeswehr-Sozialwerks verpflichtet. Sie wurde am Ende der ISAF-Mission in 2014 von Radio Andernach ins Leben gerufen, um sich für Gefallene, Versehrte, Verwundete und deren Familien einzusetzen. Der Initiator Thomas Dücker bezeichnet es als seine „Herzensangelegenheit“, einsatzgeschädigte Soldatinnen und Soldaten sowie deren Angehörige zu unterstützen. Gerade die aktuelle Situation zeige einmal mehr die Bedürftigkeit.

Für die Redaktion von Radio Andernach geht die Ära eines ganz besonderen Einsatzes zu Ende. Auch wenn das Team bis zum letzten Tag Berichte lieferte, Interviews führte und die Rückverlegung medial begleitete – „business as usual“ eben – ist es „etwas Besonderes, die letzten Andernacher in Afghanistan zu sein“ und „sehr emotional“, so Benjamin D. als Redaktionsleiter und Radio Andernach- Einsatzkorrespondent für das 20. Kontingent RS. In der Tat sah sich der Sender nicht nur als Unterhaltungsmedium, sondern baute über eine lange Zeit die „akustische Brücke in die Heimat“. Radio Andernach sorgte mit unterschiedlichen Veranstaltungen für etwas Abwechslung im belastenden Einsatzalltag am Hindukusch. Bei den Redaktionsmitgliedern des Senders ging die Beendigung dieser Mission mit dem Anliegen einher, ein Zeichen für die „Aktion Unvergessen“ zu setzen, indem Brigadegeneral Ansgar Meyer als Com TAAC North (Train, Advise and Assist Command) ein Spendenscheck von 2.000 Euro übergeben wurde. Bereits vom 19. Kontingent konnte unter der Federführung von Oberleutnant Michael V. die beachtliche Summe von 10.000 Euro gesammelt werden.

„Normalität“ im schwierigen Einsatzalltag?

Wer die Erfahrung macht, für einen längeren Zeitraum von seinem Zuhause, seinem gewohnten sozialen Umfeld getrennt zu sein, erlebt sehr intensiv, wie wichtig die Gemeinschaft ist, wie viel Motivation daraus entstehen kann und wie dekomprimierend der gemeinsame Austausch ist.

Da ist es naheliegend, in einer konkreten Einsatzsituation so etwas wie Normalität in den Alltag zu bringen und Begegnungsorte zu schaffen, von denen es zu Hause so viele gibt. Mit kreativer Improvisation entstanden so in Afghanistan Sportzelte als Ersatz für das gewohnte Fitnessstudio oder mobile Getränkebars mit Erdbeerbier und Softdrinks. Auch der Smokers Club galt als ein solcher Ort der Begegnung, bei dem es aber nicht in erster Linie um Nikotinkonsum ging, wie man zunächst vermuten könnte. Dieser Club bot vielmehr ein Forum für Gespräche über nationale Grenzen hinweg. Auf diese Weise ergaben sich für die Clubmitglieder vielfältige multinationale Kontaktmöglichkeiten und Perspektiven über den eigenen Tellerrand hinausgehend, die so üblicherweise nicht ohne Weiteres möglich gewesen wären. Da der Club allen Dienstgraden gleichermaßen offenstand, hatten die Einsatzkräfte die Gelegenheit, sich auf informelle Weise und abstandskonform entsprechend der geltenden Corona-Vorschriften mit anderen auszutauschen, ungeachtet ihres Ranges und ihrer Nationalität. Im Zuge der Auflösung des Smokers Club beschlossen die multinationalen Mitglieder ohne Zögern, der „Aktion Unvergessen“ im Bundeswehr-Sozialwerk nun einen Spendenscheck in Höhe von 5.555,55 Euro zur Verfügung zu stellen, der vom Präsidenten des Clubs überreicht wurde.

Info

Seit 2002 haben rund 160.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr an den Einsätzen ISAF und RS in Afghanistan teilgenommen.

ISAF: International Security Assistance Force wurde von 2002-2014 als Reaktion auf die Terroranschläge des 11. September 2001 durchgeführt. Auftrag der internationalen Einsatzkräfte waren Stabilisierung und Wiederaufbau des Landes, Unterstützung lokaler Institutionen und Ausbildung der afghanischen Streitkräfte

Seit dem 1. Januar 2015 kommt die Nato-Mission RS (Resolute Support) mit den Schwerpunktaufgaben Ausbildung, Beratung und Unterstützung zum Einsatz. Am 4. April 2021 beschloss der NATO-Rat das Ende der Mission RS in Afghanistan und die Rückverlegung aller Kräfte begann am 1. Mai 2021.