„Nachgefragt…“ bei Familie Wohlmacher

31. Oktober 2025 Bereich Nord Bereich Ost Bereich Süd Bereich West Wir haben geholfen

„Der eine etwas besser, der andere anders“

Mit diesen Worten beschrieb Patrick Wohlmacher vor fünf Jahren die Entwicklung seiner Zwillingssöhne Collin und Connor in einem Dankesbrief für eine Spende des BwSW. Die beiden waren damals 4 Jahre alt, und Connor stand kurz vor dem ersten von insgesamt drei operativen Eingriffen.

Connor leidet infolge der Frühgeburt unter einer spastischen Entwicklungsstörung. Die sogenannte Myofasziotomie ist ein chirurgisches Verfahren, bei dem die Faszien durchtrennt werden, um neben der sofortigen Linderung von Begleitsymptomen vor allem eine Verbesserung der Beweglichkeit zu erzielen.

Entwickelt hat diese Methode Dr. Nazarov, Chirurg in Barcelona, und er hat auch Connor mittlerweile drei Mal operiert. Die Operationen selbst erfolgten minimalinvasiv, d.h. es war kein langer Krankenhausaufenthalt erforderlich.

Wichtig sind jedoch daran anschließende, intensive Reha-Maßnahmen, um die „neue“ Beweglichkeit nachhaltig zu manifestieren. Diese wurden jeweils im ADELI Medical Center in der Slowakei durchgeführt. Dort haben drei Therapierende in sechs bis acht täglichen Therapieblöcken Connor betreut. Außerdem war er inzwischen elf Mal zur Neuroaktiven Reflextherapie (NART) in Bremen, die durch intensives Einzeltraining und Massagen zur Lösung von Spastiken, Verbesserung der Durchblutung und insgesamt zur Körperstärkung beiträgt.

Dies alles ist mit erheblichen Kosten verbunden, die nur teilweise von den Krankenkassen übernommen werden. Die Spende des BwSW in Höhe von 3.000 Euro konnte damals zumindest zu einer teilweisen, finanziellen Entlastung beitragen.

Tatsächlich den größten Einsatz bringen aber Connor, seine Eltern und seine Brüder – jeden Tag. Die Geschwister Jason (21 Jahre) und die Zwillinge Collin und Connor (9 Jahre) sind eine „verschworene“ Gemeinschaft. Sie unterstützen sich gegenseitig und sind stets füreinander da. Wie in jeder Familie bilden sie auch schon mal geschwisterliche „Seilschaften“, um ihre Wünsche und Ziele gegenüber den Eltern durchzusetzen. Connor fungiert dann als Sprachrohr für Collin und umgekehrt wird Connor von Jason und Collin gestärkt. Eine im besten Sinne ganz normale Familie.

Dennoch – der Alltag ist eine Herausforderung. Das fängt bei den vermeintlich kleinen Dingen an, wie beispielsweise der Barrierefreiheit im öffentlichen Raum. Collin kann im Wohnort die Grundschule besuchen. Connor jedoch wird von einem Taxibus abgeholt, um im 20 Autominuten entfernten Nachbarort auf eine Spezialschule zu gehen. Damit er wenigstens nachmittags mit seinem Zwillingsbruder gemeinsam den Hort im Wohnort besuchen kann, hat sein Vater alle Hebel in Bewegung gesetzt. Der Hort musste dafür mit einigen Maßnahmen umgerüstet werden, um wenigstens ein Minimum an Barrierefreiheit zu gewährleisten. Den Aufwand war es aber wert, denn Patrick Wohlmacher betont, wie wichtig die soziale Eingliederung vor Ort für seinen Sohn – und andere Menschen mit Beeinträchtigungen – sei. Das Bewusstsein hierfür fehlt jedoch oftmals.

Schwierig gestaltet sich auch die Organisation der notwendigen und hilfreichen, für Connor körperlich aber auch sehr anstrengenden Therapiemaßnahmen, die in Blöcken von circa zwei Wochen stattfinden. Abgesehen davon, dass Connor während dieser Zeit in der Schule fehlt und den Schulstoff später nacharbeitet, muss Patrick Wohlmacher dies terminlich eng mit seinem Dienstherrn absprechen, da er seinen Sohn begleiten muss. Er betont zwar die große Unterstützung, es gibt auch Sonderurlaub für diese Maßnahmen. Dennoch bleibt es für den Berufssoldaten nicht nur auf der Dienststelle, sondern auch für seine Familie organisatorisch ein Balanceakt, denn zu Hause geht für seine Frau, Conny Wohlmacher und die anderen beiden Geschwister der durchgetaktete Alltag weiter. Beruf, Schule, Familie und Freunde, Freizeitaktivitäten und Hobbies – das alles unter einen Hut zu bringen, so dass jeder in der Familie nicht „zu kurz“ kommt, ist schon unter gewöhnlichen Bedingungen nicht immer ganz einfach, in dieser besonderen Konstellation ist es das aber ganz gewiss nicht.

Immerhin – nach Auslandseinsätzen und Versetzungen an weit entlegene Standorte ist Patrick Wohlmacher nun heimatnah als Leiter des Karriereberatungsbüros der Bundeswehr eingesetzt. U.a. agiert er hier aufgrund seiner privaten Erfahrung als überzeugter Fürsprecher zum Thema Inklusion.
Mit seinem Impuls-Vortrag „Bundeswehr INKLUSIV“ reist er durch das Land, und ermutigt junge Menschen trotz ihrer körperlichen Beeinträchtigung ihre beruflichen Träume zu verwirklichen. Hier gilt es wie überall, Vorurteile abzubauen und die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen.
Nach dem Motto „Von der Idee zum Praktikum und danach Ausbildung“ hat vor kurzem die 16-jährige Schülerin Jolien einen Tag in einer Ausbildungswerkstatt in Wunstorf verbracht. Danach war sie überzeugt: „Dieser Tag hat mir Mut gemacht und gezeigt, dass es realistisch ist, trotz meiner Einschränkung einen technischen Beruf auszuüben.“ So entstehen aus einem Berufswunsch eine Perspektive und schließlich die Verwirklichung – das ist gelebte Inklusion.

Für Familie Wohlmacher schließt sich auf diese Weise ein Kreis. Indem sie jeden Tag von Neuem den beruflichen und privaten Alltag nicht nur, aber auch unter dem Aspekt der Beeinträchtigung eines ihrer Kinder bewältigt. Dabei macht sie Probleme sichtbar und engagiert sich für realisierbare Lösungsmöglichkeiten.
Das ist zweifellos ein großer Kraftakt, er birgt aber auch eine Mission in sich, mit unendlich viel Hoffnung für die Zukunft – auf eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität und Chancengleichheit für alle Menschen mit Beeinträchtigung.

Text: Sabine Krämer-Uhl