Betreuende sind „Wiederholungstäter“
Was motiviert Betreuende, sich ehrenamtlich bei den Freizeiten für Menschen mit Beeinträchtigungen zu engagieren?
Sonntagmorgen, 10 Uhr, im Matthias–Claudius–Haus in Meschede. Als ich in den Speisesaal komme, erwarte ich eigentlich schon viel Trubel. Tatsächlich trudeln die Teilnehmenden mit ihren Betreuenden der diesjährigen Freizeit für Menschen mit Beeinträchtigungen jedoch erst nach und nach zum Frühstück ein, denn am Vorabend wurde noch lange am Lagerfeuer gefeiert.
Tina, die erste Betreuende, die ich antreffe, lacht, als sie ein gewisses Schlafdefizit einräumt, und betont mit einem Augenzwinkern, dass dies nicht unbedingt am ausgefüllten Tagesprogramm mit den Teilnehmenden liegt, sondern auch daran, dass die Betreuenden schnell eine harmonische Gemeinschaft gebildet haben. Sie sitzen abends einfach gerne noch lange zusammen und lernen sich so auch privat besser kennen. Freundschaften und sogar Ehen seien auf diese Weise schon entstanden.
Sie selbst hat das Bundeswehr-Sozialwerk (BwSW) als Zeitsoldatin kennengelernt. Nach dem darauffolgenden Studium ist sie nun Lehrerin an einer Förderschule. So ist sie im Umgang mit den beeinträchtigten Teilnehmenden bereits geübt. Ihre Tochter Hanna ist auch dabei. Vergangenes Jahr hat diese noch gemeinsam mit einer bereits erfahrenen Betreuerin ihren Schützling versorgt. Dieses Jahr traut sie sich das bereits alleine zu. Es ist jetzt schon klar, dass das Mutter–Tochter Gespann zwar das erste Mal gemeinsam hier ist, aber ganz bestimmt nicht das letzte Mal.
Anja ist heutzutage Betreuerin, sie war jedoch bereits jugendliche Teilnehmerin bei den Ski-Freizeiten des BwSW. Skifahren zu lernen, diese Möglichkeit hätte sich ihr ansonsten nie geboten. Auch ihre eigenen Kinder haben schon mit Begeisterung an einer Jugend-Freizeit auf Rügen teilgenommen. Ihre Dankbarkeit für dieses Angebot des BwSW war schließlich so groß, dass sie unbedingt etwas von der wundervollen Erfahrung zurückgeben wollte. Die schönsten Momente sind für sie, wenn sie merkt, dass die Teilnehmenden regelrecht aufblühen. Es braucht immer eine kleine Weile, bis sich alle „gefunden“ und aneinander gewöhnt haben. Wenn dann aber Vertrauen entsteht, sich Rituale entwickeln, dann trauen sich die Teilnehmenden, aus sich herauszugehen, zu lachen, zu singen und voller Freude zu verkünden, dass es ein schöner Tag war.
Die Freundinnen Ines und Katrin sind im „normalen“ Leben Begleiterinnen für Schüler mit Beeinträchtigungen, haben also auch schon anderweitig Erfahrung gesammelt. Katrin ist bereits das neunte Mal dabei. Dieses Jahr hat sie Ines überzeugen können, mitzukommen. Und diese ist tatsächlich begeistert von der tollen Gemeinschaft, die sich in kürzester Zeit gebildet hat. „Wir sind wirklich wie eine Familie“.
Wortwörtlich familiär verbunden – ähnlich wie Tina und Hanna – sind auch Max und Robert. Sie sind nämlich Brüder. Da sie sich aus beruflichen Gründen relativ selten sehen, genießen sie neben der hauptsächlichen Motivation – jungen Mitmenschen tolle Ferien zu bereiten – auch die gemeinsam verbrachte Zeit. Damit die beiden sogar einmal privat einen Abend verbringen konnten, haben sich andere Betreuende während dieser zwei, drei Stunden um ihren Schützling gekümmert. Dieses Entgegenkommen hat die beiden beeindruckt.
Für Karola ist es die vierte Freizeit. Als ihre Kinder aus dem Haus waren, hat sie neben dem Beruf nach einer weiteren Beschäftigung gesucht. Als Zivilangestellte bei der Bundeswehr war das BwSW nicht fern und die „neue Herausforderung“ schnell gefunden.
Ralf hat einen Sohn mit Beeinträchtigung und kannte daher das BwSW. Er ist das erste Mal dabei, weiß aber jetzt schon, dass er sich als zukünftiger Pensionär auch weiterhin engagieren möchte. Ihm liegt die Sonderfreizeit besonders am Herzen, weil hier „die Wirkung der Hilfe gefühlt am größten ist“.
Das Verhältnis Teilnehmende und Betreuende beträgt bei diesen Freizeiten in der Regel 1:1. Für so eine relativ große Gruppe ist eine gute Vorbereitung und Organisation unverzichtbar. Obwohl alle eine umfassende Schulung durchlaufen und sich untereinander spontan und umsichtig helfen, ist es daher wichtig, dass es eine zentrale Anlaufstelle gibt.
Diesen „Job“ macht Lena, sie ist Chefbetreuerin und fungiert als Organisatorin, Eventmanagerin und Ansprechpartnerin für (wirklich) alle und alles in einer Person. Da liegt es auf der Hand, dass es auch mal stressige Momente gibt, aber Lena bleibt die Ruhe selbst.
Schließlich hat sie schon lange, bevor die ersten Teilnehmenden eintreffen, Vorbereitungen getroffen. Sie hat Namensbuttons und –schilder für die Sitzplätze gefertigt. Gemeinsam mit den Betreuenden wurden Ideen für das – tatsächlich – spektakuläre Programm entwickelt und schließlich an der Umsetzung gefeilt. Die Wagenflotte zu den Ausflugsstationen musste geordert werden. Last but not least wurde das ganze Haus mit Luftballons geschmückt, um den Teilnehmenden auch optisch einen fröhlichen Empfang zu bereiten.
Und dann … kommt womöglich kurz vor der Anreise vonseiten der Betreuenden aus wichtigen Gründen eine Absage. Das bedeutet normalerweise auch die Absage für den oder die Teilnehmende, was besonders bitter ist. Denn diese freuen sich natürlich schon das ganze Jahr auf diese ganz besonderen Ferien. Dieses Jahr ging aber alles gut, denn Lara, Soldatin und Kameradin des seit Jahren engagierten Betreuers Steven, sprang auf seine Nachfrage innerhalb von zwei Tagen ein. Sie wurde dadurch zur Heldin ihres Schützlings, denn die Teilnahme war gerettet.
Am Ende des Tages habe ich unzählige Gespräche mit den Betreuenden geführt. Egal wie jung oder alt sie sind oder was sie motiviert - das Engagement aller Beteiligten ist nicht nur beeindruckend, es ist auch mitreißend. Ist man erst einmal dabei, wird man fast zwangsläufig zum „Wiederholungstäter“. Warum? Weil alles stimmig ist: das Miteinander, das Geben und Nehmen, die persönliche Erfahrung und Entwicklung und nicht zuletzt die tollen Erlebnisse auf den Ausflügen. Mancher wächst hier über sich selbst hinaus. Wo Gutes getan wird, gedeiht auch Gutes, und davon profitiert jeder. Darum – macht gerne mit! Bewerbt Euch und werdet Teil dieser tollen Gemeinschaft der Betreuenden!
Text: Sabine Krämer-Uhl