„Beeindruckende Kameradschaft in Mali“

09. Februar 2022 News Bundeswehr im Einsatz Bereich Nord Bereich Ost Bereich Süd Bereich West

BwSW-Mitarbeiterin Nicole Rudolph war viereinhalb Monate als Soldatin im Auslandseinsatz

Von Helmut Michelis

Mit ihrer Antwort auf die Frage „Von welcher Einheit kommen Sie denn?“ hat Hauptmann Nicole Rudolph im westafrikanischen Mali so manchen Bundeswehr-Angehörigen gewaltig überrascht: „Ich bin beim Bundeswehr-Sozialwerk.“ Schließlich ist es nicht alltäglich, dass eine Mitarbeiterin der Bonner BwSW-Zentrale an einem Auslandseinsatz teilnimmt, noch dazu, wenn es sich um eine Architektin handelt. Aber letztlich sei, ob in Uniform oder in Zivil, die Bundeswehr eine Einheit und es für sie als Staatsbürgerin sehr wichtig gewesen, einmal am „scharfen Ende“ dieser Organisation für Frieden und Sicherheit Dienst geleistet zu haben.

Normalerweise kümmert sich Nicole Rudolph mit zwei Mitarbeitenden um die zahlreichen Hotels und weiteren Liegenschaften des BwSW. Da gibt es viel zu tun: Jedes Jahr ist Nicole Rudolph von Rügen bis zum Gardasee rund 40.000 Kilometer im Auto oder per Bahn unterwegs. Meist geht es um Instandsetzungsarbeiten, Umplanungen, aber auch um Begutachtungen vor neuen Hauskäufen oder um finanzielle Fragen. Die Koblenzerin hatte schon immer eine enge Beziehung zur Bundeswehr: Ihr Großvater arbeitete im Bereich Wehrtechnik und Beschaffung, zwei Tanten waren ebenfalls in der Wehrverwaltung tätig, ihr Partner ist aktiver Soldat. „Schon deshalb war es mir wichtig, auch einmal die Dienstleistungen der Bundeswehr im Ausland und die Truppe näher kennenzulernen.“

So hat sie vom 25. Juni bis zum 4. November 2021 ihr Büro an der Ollenhauerstraße in Bonn gegen ein deutlich weniger bequemes im Camp Castor im 4.000 Kilometer entfernten malischen Gao getauscht – bei Sandstürmen, ständigem Staub, einer manchmal unheimlichen Tierwelt vom Skorpion bis zur Kamelspinne, heftigen Überflutungen während der Regenzeit und tagsüber bis zu 45 Grad erdrückende Hitze. „Man schwitzt so gut wie immer“, erinnert sich Nicole Rudolph. Zudem hieß es, unter Corona-Auflagen einsatzbedingt stetig durchzuarbeiten, auch freie Wochenenden gab es nicht. „Ich bin sehr an mein Limit gekommen. Umso mehr habe ich die Kameradschaft bewundert, die ich im Camp erleben durfte. Als ich wegen eines krankheitsbedingten Ausfalls kurzfristig die Leitung der gesamten Einsatzwehrverwaltung, auch als Disziplinarvorgesetzte, übernehmen musste, haben mir alle zur Seite gestanden. Eigentlich doch fremde Menschen haben mich wie selbstverständlich tatkräftig unterstützt. Das war ein tolles Erlebnis.“

Das ursprünglich niederländische Camp Castor liegt am Flughafen der 100.000-Einwohner-Stadt Gao. 2016 trafen dort die ersten deutschen Soldaten ein. Sie gehören jetzt zur UN-Operation MINUSMA. Diese Abkürzung steht für „Mission multidimensionnelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali“, eine Operation zur Stabilisierung des krisengeschüttelten und terrorbedrohten afrikanischen Landes. Daran nehmen rund 13.000 Blauhelmsoldatinnen und -soldaten und knapp 2.000 internationale Polizistinnen und Polizisten teil. Der Deutsche Bundestag hat für die Beteiligung der Bundeswehr eine Obergrenze von 1.100 Frauen und Männern festgelegt.

Der Auftrag der Koblenzerin in Gao ist wohl am einfachsten mit „Dienstleistung für die Truppe“ zu erklären. „Die Soldatinnen und Soldaten, die draußen unterwegs sind, sollen sich nicht auch noch darum kümmern müssen, ob die Dusche oder die Klimaanlage im Container funktionieren“, beschreibt Nicole Rudolph ihre Aufgabe als „Leiterin Bereich Facility Management“. Gemeinsam mit einem 24-köpfigen Team der Einsatzwehrverwaltung kümmerte sie sich zum Beispiel um funktionierende Gebäude, die Verpflegung, die Wäsche und die Müllentsorgung. Dazu arbeitete sie auch mit Privatunternehmen und einheimischen Hilfskräften zusammen. Die Verbindung zu ihrer Aufgabe beim BwSW lag – in engem Kontakt zur Kontingent-Führung – vor allem im Ausbau und Betrieb des Feldlagers zu einer großen Einsatzliegenschaft: Der Bau der neuen DEFAC (Truppenküche) sowie der Umbau zur Stationierung der Hubschrauber NH90 waren die aktuellen Maßnahmen in ihrer Einsatzzeit. „In Mali wird nach deutschem Recht gebaut. Umso mehr hat mich erstaunt, dass Baumaßnahmen im Ausland deutlich schneller umgesetzt werden als im Inland. Wofür wir in Deutschland drei Jahre veranschlagen müssen, war dort innerhalb eines Jahres möglich, obwohl die einheimischen Kräfte weniger gut ausgebildet waren“, staunt die Architektin noch immer. Es liege wohl auch an den geringeren bürokratischen Hürden bzw. der Dringlichkeit im Einsatzland.

Die Bundeswehr hat Nicole Rudolph natürlich nicht unvorbereitet in den Einsatz geschickt. „Die Vorausbildung unter anderem am UN-Ausbildungszentrum im unterfränkischen Hammelburg hat rund ein Jahr gedauert.“ Sie wurde im Rahmen der ASA I und II (die Abkürzung steht für Allgemeine Soldatische Ausbildung) im Umgang mit der Waffe, als Ersthelferin, in der Orientierung im Gelände und in der Landeskunde ausgebildet; dazu gehörte die Vermittlung von taktischen Verhaltensweisen und von Grundlagen der Abwehr improvisierter Sprengfallen. Ein simulierter Angriff auf ein Feldlager bildete den infanteristischen Höhepunkt dieses Trainings für zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in den Auslandseinsatz gehen. Sie alle sind dort zu ihrem Schutz im Soldatenstatus und in Uniform unterwegs; der militärische Dienstgrad orientiert sich an der zivilen Aufgabe in der Heimat.

„Diese Vorausbildung ist wichtig. Denn der Einsatz im Norden Malis gilt als die derzeit gefährlichste Bundeswehr-Mission. Man ist dort schließlich nicht im Urlaub“, betont Nicole Rudolph, was sie vor Ort gleich am ersten Tag hautnah mitbekam: Unmittelbar vor ihrer Ankunft wurden bei einem Selbstmordanschlag mit einer Autobombe zwölf deutsche Soldaten teils schwer verwundet. Britische Soldaten organisierten zu deren Unterstützung einen Spenden-Halbmarathon, Hauptmann Rudolph lief mit und vermittelte die Weiterleitung der Einnahmen an das Bundeswehr-Sozialwerk. Das vergab unbürokratisch Reisegutscheine für einen 14-tägigen Urlaub in einer der vereinseigenen Ferienanlagen an die Verwundeten. Zurück in Bonn zeigt Nicole Rudolph die Einsatzmedaillen, die Verbandsabzeichen und einen Coin, die sie erhalten hat. Sie sei schon ein wenig stolz darauf, dass ihre Arbeit von den Kameradinnen und Kameraden so anerkannt worden sei.    

Und was nimmt sie vom Einsatz mit? „Wie gut wir es in Deutschland haben. Trotz ihrer großen Armut und der allgegenwärtigen Gefahren sind die Menschen in Mali erstaunlich lebensfroh, vor allem die Kinder. Man lernt, auch kleine Dinge zu schätzen wie die Freude über Brownies, die ich abends mit dem Militärpfarrer gebacken habe“, antwortet Nicole Rudolph und setzt hinzu: „Durch die Erlebnisse in dieser ganz anderen Welt habe ich mich selbst weiterentwickeln können – beruflich wie privat. Es war beeindruckend mitzuerleben, wie unsere Truppe im Ausland funktioniert und wie gut alles ineinandergreift.“

Info

MINUSMA

Die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen (MINUSMA - United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali) dient der Sicherung des Friedens. Die Kernaufgaben sind, die Waffenruhevereinbarungen und die vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen den Konfliktparteien sowie die Umsetzung des Abkommens für Frieden und Aussöhnung aus dem Jahr 2015 zu unterstützen. Die Stabilisierung Malis ist von zentraler Bedeutung für die territoriale Einheit des Staates.

Mit rund 13.000 Blauhelmsoldatinnen und Blauhelmsoldaten und knapp 2.000 Polizisten und Polizistinnen trägt der Einsatz der Vereinten Nationen in Mali zur Stabilisierung des Landes bei. Der Deutsche Bundestag hat für die Beteiligung der Bundeswehr eine Obergrenze von 1.100 Soldatinnen und Soldaten festgelegt. Das Mandat erlaubt auch den Einsatz von Waffen zur Durchsetzung des militärischen Auftrages. Eine Teilnahme an Operationen zur Terrorismusbekämpfung ist nicht Teil des Auftrages, alle Soldatinnen und Soldaten haben aber das uneingeschränkte Recht zur individuellen Selbstverteidigung.

Die deutsche Beteiligung an der United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali ergänzt das deutsche Engagement bei der von der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM (European Union Training Mission Mali). Die von internationalen Ausbildern der European Union Training Mission Mali trainierten malischen Sicherheitskräfte werden unter anderem im Norden Malis zur Stabilisierung und Wiederherstellung der staatlichen Integrität eingesetzt.